Afrikanische Arzneipflanzen und Jagdgifte
Chemie, Pharmakologie, Toxikologie
Hans Dieter NeuwingerWissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 1998, 2. völlig neu berarbeitete und erweiterte Auflage, 100 farbige Abb., zahlreiche Illustrationen, € 91.-
Dieses 1000 Seiten starke, auf 25 Jahren eigener Feldforschung beruhende Werk eines einzelnen Forschers beeindruckt in vieler Hinsicht. 300 afrikanische Pflanzen, die alle bis heute als Jagdgifte, zur Wilderei und in Stammesfehden eingesetzt werden, daneben aber auch bei den verschiedenen Jagdvölkern als Medizinalpflanzen eine vielfältige Verwendung finden, sind nach botanischen Namen alphabetisch geordnet und ausführlich beschrieben. Beobachtungen und Befragungen bei Medizinmännern, Jägern und Giftbereitern und die Erkundung der Pflanzennamen auch in den afrikanischen Stammesdialekten bilden die Grundlage des Buches. Die Bearbeitung der internationalen und bis 200 Jahre zurückreichenden Literatur zu Ethnologie, Pharmakologie, Toxikologie und Botanik machen das Buch mit seinen über 1000 Strukturformeln und 30 Seiten Pflanzenverzeichnis zu einem ausgezeichneten Standardwerk der afrikanischen Ethnomedizin und Ethnopharmakologie. Die Beschreibungen der Bereitung von Gift für die Jagd mit Pfeilen, des Perlhuhnfangs, der tödlichen Vergiftungen von Soldaten in den Kolonialkriegen und des Einsatzes von Fischfanggiften sind auch für Laien sehr gut lesbar und interessant. Die ethnomedizinischen Anwendungen durch die lokalen Heiler und die erstaunliche Breite der Indikationen, die teilweise durch die seit 100 Jahren bestehenden toxikologischen Untersuchungen nachvollzogen werden können, sind spannend zu lesen wie ein Kriminalroman. Aus der afrikanischen Volksmedizin konnten so wichtige Arzneipflanzen wie die Strophantus-Arten und Wirkstoffe wie das Reserpin in unser Medizinsystem eingeführt werden. Bei vielen nur oberflächlich untersuchten Pflanzen konnte mittlerweile Aktivität gegen Malaria und andere Tropenkrankheiten bestätigt werden. Schmerzstillende, herzwirksame, anästhetisierende, bakterizide, virusstatische oder zytotoxische Wirkstoffe wurden ebenfalls nachgewiesen. Oft beruhen die toxischen Effekte, die bei der Jagd auch auf Großtiere so erfolgreich eingesetzt wurden, auf dem gleichen Wirkprinzip wie die therapeutischen Effekte. Der Unterschied zwischen Therapie und tödlicher Wirkung ist oft eine Frage der Dosierung. Dies zeigt deutlich, wie wichtig die Beachtung des enormen, aber im Aussterben befindlichen Erfahrungsschatzes indogener Völker auch für die moderne Medizin ist; denn die zielgerichte Untersuchung dieser erprobten Gifte liefert weit schneller brauchbare Ergebnisse als wahllose Screening-Tests.
Pflanzenheilkunde in Deutschland, die ebenfalls eine lange Tradition besitzt und breite Anwendung und Akzeptanz in der Bevölkerung findet, gilt als sanfte Medizin. Kritiker sprechen gar von Wirkungslosigkeit angesichts der Verwendung verschiedener Tees für den Wohlgeschmack. Diese Zweifel sind bei den tropischen Jagdgiftpflanzen Afrikas völlig unangebracht. Alle im Buch beschriebenen Pflanzenpräparate werden zu einem Ziel eingesetzt: sie töten, lähmen oder verstärken in bestimmten Kombinationen ebensolche Wirkungen auf das Beutetier.
Dem Autor und seinem Buch ist eine breite Leserschaft unter Ethnologen, Pharmakologen, Chemikern, Medizinern und Interessierten Laien zu wünschen. Ohnehin wird das Buch für lange Zeit eine einmalige Referenz bleiben.
Einheimische Arzneipflanzen: Der herzwirksame Weißdorn
Stefanie Goldscheider