Vollkorn und Vollkornmehl

Von Stefanie Goldscheider

Getreide weltweit - die volle Korngeschichte

Fladenbrot. Getreide ist Grundlage der ErnährungGetreide war seit der Jungsteinzeit und in allen Hochkulturen entscheidender Bestandteil der Ernährung und damit der Geschichte der Menschheit. Die Entwicklung von Städten, von Infrastruktur und von Arbeitsteilung waren nur durch die vielen praktischen Eigenschaften von Getreide möglich. Getreide ist lange haltbar, es kann gut transportiert und lange gelagert werden und es ist ein vollwertiges Grundnahrungsmittel. Bereits am Anfang wurden weltweit sehr unterschiedliche Lebensmittel aus Getreide hergestellt: Brei beziehungsweise Grütze, Fladenbrot (Bild links) und Bier. Weltweit beruhte der Fortschritt allerdings auf unterschiedlichen Getreidearten: Reis ist die wichtigste Getreideart im asiatischen Raum. Mais war bei den Hochkulturen Mexikos entscheidend. Hirsearten waren in Afrika und vielen Regionen Asiens die Ernährungsgrundlage. Weizen, Gerste und Co. stammen aus Mesopotamien, dem fruchtbaren Halbmond und spielten in unserer Geschichte die Hauptrolle. Das Korn der Inkas, hoch in den Anden, war und ist Quinoa. Die sogenannte Reismelde ist allerdings kein echtes Getreide.

Gerste war das erste Getreide
der Menschheit. Weizen wurde
erst durch Weißbrot wichtig.

Das älteste Getreide der Menschheit ist die Gerste, die seit mindestens 17 000 Jahren von Menschen genutzt wird und bereits vor 10 000 Jahren im Zweistromland und am Nil angebaut wurde. Die heute überragende Bedeutung des Weizens entstand erst nachdem das Weißbrot und Weißmehlprodukte ihren Siegeszug antraten. Das war leider auch der Beginn einer immer ungesünderen Ernährung.

Bei allen antiken Hochkulturen des Nahen Ostens und Europas stand vor allem die Gerste hoch im Kurs. Die Römischen Legionäre eroberten die Welt mit Gerstenbrei und Dinkel-Vollkornbrot, übrigens stets aus frisch gemahlenem oder geschrotetem Getreide. Die Legionen führten nämlich Getreidekörner und Mühlen und nicht etwa Mehl mit sich!

Was ist eigentlich Getreide?

Garben zum Trocknen auf dem FeldGetreide gehört zur Pflanzenfamilie der Gräser, genauer gesagt der Süßgräser, beziehungsweise Poaceae oder Gramineae. Im Lauf der Geschichte wurden aus unterschiedlichen Arten von Gras alle unsere Getreidearten gezüchtet. Getreide hat einsamige Früchte, die sogenannten Getreidekörner. Das Korn wächst an Halmen (Bild links: Halme, zu Garben gebunden) in Ähren, Rispen oder Kolben. Mit dem Begriff "Korn" ist in den USA der Mais, in Osteuropa der Roggen und in Westeuropa der Weizen gemeint, die jeweils wichtigste Getreideart. Das Andenkorn Quinoa ist zwar nur ein Pseudogetreide, für die Inkas aber Grundlage der Ernährung.

Nach dem Dreschen ist das Getreidekorn komplett essbar, denn es hat keine harte Schale. Spelzgetreide, zu denen Dinkel aber auch Hafer, Hirse und Reis zählen, werden allerdings vor der weiteren Verarbeitung geschält (Dinkel, Hafer, Hirse) oder poliert (Reis). Alle Getreidekörner bestehen aus Keimling, Mehlkörper und der damit fest verwachsenen Schale. Diese vielschichtige Schale mit der Aleuronschicht [1] enthält neben Ballaststoffen auch viele Vitamine und essenzielle Aminosäuren. Und auch der Keimling des Korns ist gefüllt mit gesunden Inhaltsstoffen: Vitaminen, Mineralstoffe, Aminosäuren und hochwertigen ungesättigten Fettsäuren. Die Aleuronschicht [1] und der Keimling machen das im Inneren vor allem stärkereiche Getreide vollwertig.

Vom Korn zum Mehl

Mahlen

Das Mahlen von Mehl ist fast genauso alt wie die Verwendung von Getreide. Schon sehr früh konnte man Getreidekörner auf steinernen Mörsern und später zwischen drehenden Mühlsteinen zerkleinern, zu grobem Schrot, Gries, Dunst oder schließlich zu feinem Mehl. Damals war alles Vollkorn.

Die Feinheit des Mehls ist eine Frage des Zeitaufwandes beim Mahlen. Auch Vollkornmehl kann fein gemahlen sein. Grobes Mehl oder Schrot ergibt ebenfalls Brot. Fein gemahlenes Mehl ist eine Voraussetzung für starkes Aufgehen der Teige und luftiges Brot oder für zartes Feingebäck. Grober Schrot ergibt körnige Gebäcke und Brote, ein bissfestes Mundgefühl bei Getreidebrei oder Getreide-Füllungen und Bratlingen.


Aussiebung und Ausmahlung

Weißbrot und Brötchen werden aus Weißmehl oder hellem Roggenmehl gemacht. Die Farbe des Mehls von weiß bis braun ist eine Frage der Aussiebung oder anders gesagt des Ausmahlungsgrades. Der Ausmahlungsgrad von Weizenmehl Typ 405 beträgt durchschnittlich 50 %. Für diesen Mehltyp wird das Weizenkorn vor dem Mahlen geschält und der Keimling entfernt. Mit der Schale entfernt man nicht nur Ballaststoffe sondern auch die Aleuronschicht [1]. Was übrig bleibt, ist der reine weiße Mehlkörper, dessen Eiweißanteil mit 7,5 bis 14 % noch immer hoch ist aber nicht mehr hochwertig. Es dominiert das Kleberprotein oder Gluten. Es lässt Teige aufgehen. Auszugsmehl hat nahezu keine Mineralstoffe, keine Vitamine und nur wenig essenzielle Aminosäuren. Was abgeschält wird bezeichnet man als Kleie. Kleie ist diätetisch wertvoll.

In der industriellen Müllerei wird nach jedem Mahlvorgang gesiebt und die groben Bestandteile erneut gemahlen. Wieviel der vermahlenen Randschichten mit ins jeweilige Mehl gemischt werden bestimmt die Mehltypisierung. Selbst der dunkelste Mehltyp 1700 bei Weizen und 1800 bei Roggen enthält nicht den ganzen Keimling und nicht die gesamte Aleuronschicht. Diese Vorzüge hat nur echtes Vollkornmehl. Natürlich kann man auch im Haushalt sieben - und gesiebtes Mehl für Kekse, Kuchen und Waffeln verwenden - die Kleie für's Müsli oder als Ersatz für griffiges Mehl.


Vollkornmehl

Vollkornmehl hat einen Mineralstoffgehalt von ungefähr 2 % im Vergleich zu nur 0,4 % bei Weizenmehl vom Typ 405. Besonders positiv in Vollkorn ist der hohe Magnesiumgehalt zu bewerten. Der hohe Gehalt an B-Vitaminen sowie Niacin und Panthothensäure sind ebenfalls ein Vorzug von Getreide, aber nur in den Randschichten enthalten, werden bei Weißmehl praktisch entfernt, ebenso die essenziellen Fettsäuren. Wegen dieser hochwertigen Fettsäuren in Vollkorn ist das frische Mahlen von Mehl so wichtig. Beim Lagern oxidieren die ungesättigten Fettsäuren (wie z.B. die α-Linolensäue) und werden ranzig. Das gilt auch für den relativ fettreichen Hafer. Ohnehin soll Hafer wegen des Fettgehaltes nur grob geschrotet und niemals fein gemahlen werden. Auch bei den anderen getreideähnlichen Körnern, den sogenannten Pseudocerealien Buchweizen, Amaranth und Quinoa bleibt der hohe Nährwert, insbesondere die wertvollen mehrfach ungesättigten Fettsäuren, nur erhalten, wenn das Mehl direkt vor der Verarbeitung frisch gemahlen wird (Bild links: Haushalts-Getreidemühle).


Low Carb mit Vollwert-Ernährung und Vollkornbrot

Im Vergleich zu Weißbrot ist Vollkornbrot kohlenhydratarm, hat es doch durchschnittlich 10 % weniger Kohlenhydrate als Weißbrot. Dadurch ist Vollkornbrot ein Low Carb [2] Produkt mit nur rund 250 Kilokalorien pro 100 Gramm und unter 40 % Kohlenhydraten. Weil Vollkorn ballaststoffreich und im Magen quellend und damit sehr sättigend ist, sind Vollkornprodukte dazu geeignet die tägliche Kalorienaufnahme zu senken und Übergewicht los zu werden, ohne gesundheitsschädliche Protein-Diät [3]. Bei einer ballaststoffreichen Ernährung muss allerdings genügend getrunken werden. Obwohl Ballaststoffe die Darmpassage anregen, dauert die Verdauung dennoch länger und läuft vollkommen anders ab, als bei Weißmehlprodukten. Vollkorn lässt Hunger erst viele Stunden später wieder aufkommen. Dazwischen stehen die für das Gehirn und die körperliche Aktivität benötigte Energie in passender Dosierung zur Verfügung. Die Ernährung mit ballaststoffreichen Vollkornprodukten ist dazu geeignet, einen zu hohen Blutzuckerspiegel zu senken. Ebenso helfen Ballaststoffe den Cholesterinspiegel zu senken. Besonders wirkungsvoll sind die Ballaststoffe aus Hafer, Gerste und Roggen sowie aus Leinsaat und Pseudocerealien.



Getreide selber mahlen und schroten

Wer Getreide selbst mahlen kann, hat immer etwas abwechslungsreiches und vollwertiges zu Essen im Haus! Muffins, Pfannkuchen, Bratlinge, Pizza, Kuchen und Brote oder Frischkornbrei sind schnell gemacht. Alles kann variiert werden, der Mahlgrad beziehungsweise die Feinheit und die Zutaten für die Rezepte. So können auch Rohkost-Müslis beziehungsweise Frischkornbrei täglich frisch aber bequem zubereitet werden. Eine Haushaltsgetreidemühle mahlt alles an Getreide und Pseudogetreide, also auch glutenfreie Produkte wie Buchweizen, Mais, Reis und den harten, kleinsamigen Amaranth. Wer Hülsenfrüchte wie Sojabohnen, Kichererbsen und Mungbohnen für vegane aber proteinreiche Gerichte mahlen will, muss beachten, dass das Mahlen fettreicher Hülsenfrüchte und Saaten länger dauert und Fett in der Mühle hinterlässt. Dies kann man durch das sofortige Mahlen von Reis hinterher wieder ausputzen. Um Erwärmung und Verklebung des Mahlgutes zu vermeiden, ist groberes Mahlen und Schroten eine Möglichkeit.

 

 

Anhang
[1] Die Aleuronschicht ist eine Randschicht der Getreidekörner. Anders als der Mehlkörper, den sie umgibt, enthält die Aleuronschicht sehr viele essenzielle Aminosäuren, ungesättigte Fettsäuren und viele Mineralstoffe sowie praktisch die gesamten Vitamine des Getreidekorns, vor allem die B-Vitamine. Die Quellfähigkeit des proteinreichen Aleuron sorgt für die saftige Krume von Vollkornbrot, das anders als Weißbrot nicht so schnell austrocknet. Die Aleuronschicht enthält Farbstoffe und wird für Weißmehl entfernt.
[2] Low Carb oder übersetzt "wenig Kohlenhydrate" ist eine moderne Diätform und steht im Gegesatz zum früher propagierten fettreduzierten Essen, das ebenfalls dem Abnehmen und der Gesundheit dienen sollte. Low Carb bedeutet also weniger Zucker und möglichst keine leeren Kohlenhydrate (= Weißmehlprodukte, Softdrinks, hoch verarbeitete Kartoffelprodukte) zu essen. Das Erfolgsrezept heißt: mehr sattmachende Quell- und Ballaststoffe, vor allem aus Gemüse und Vollkornprodukten und zwar in Kombination mit gesunden Fetten. Gar keine Kohlenhydrate zu essen birgt ein hohes Gesundheitsrisiko.
[3] Protein-Diäten dienen dem Abnehmen. Weil Protein weniger Kalorien hat als Kohlenhydrate, kann man mehr essen, ohne dies gleich auf den Hüften zu haben oder im Fitnessstudio abtrainieren zu müssen. Mit dem Protein nimmt man allerdings stets Purine (die Rheuma auslösen) und meist viel Cholesterin zu sich. Im Stoffwechsel entstehen aus Protein, das anders als Kohlenhydrate nicht direkt der Versorgung von Gehirn und Muskeln dienen kann, auch Giftstoffe. Diese Abbauprodukte können verschiedene Krankheiten auslösen, vor allem wenn die Ernährung ballaststoffarm ist. Als erstes belastet übermäßiges Protein die Nieren. Im Darm erhöht sich das Krebsrisiko. Der Säure-Basen-Haushalt ist unausgewogen beziehungsweise zu viel Protein führt zu einer Übersäuerung und damit zu einem erhöhten Risiko an Osteoporose zu erkranken. Eine extreme Form von Low carb und Protein Diät ist die ketogene Diät bei der neben Protein auch sehr viel Fett und so wenig wie möglich Kohlenhydrate gegessen werden. Das Gesundheitsrisiko ist hoch.


Quellen:
Vollwert-Ernährung, Karll von Körber, Thomas Männle, Claus Leitzmann. Haug Stuttgart, 10. Auflage 2004
Lexikon der Lebensmittel und der Lebensmittelchemie, Ternes et. al. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart. 4. Auflage 2005
Lebensmittel-Warenkunde für Einsteiger, Rimbach, Möhring, Erbersdobler. Springer, Berlin Heidelberg, 2010
RÖMPP Lexikon der Lebensmittelchemie, Thieme Verlag Stuttgart, New York, 2. Auflage 2006
Taschenatlas Ernährung, Hans Konrad Biesalski, Peter Grimm, Thieme Verlag Stuttgart, 6. Auflage 2015